8. APRIL 2020

17:46 Uhr

Wir befinden uns im harten Lockdown, Tag 22. Die Angst sitzt tief und die Bereitschaft sich und andere eingesperrt zu lassen, ist nach wie vor hoch. Auch heute sind nur wenige Menschen in der Wiener Innenstadt unterwegs. Man trifft sich sporadisch auf einen Plausch, oft geht man alleine durch die engen Gassen, schaut sich Schaufenster an. Kaufen kann man so gut wie nichts. Die Gaststätten und Restaurants haben seit Wochen geschlossen.

Ich habe Hunger und bemerke einen Lieferando-Fahrer, der in der Herrengasse eine kleine Pause einschiebt. Viel Zeit hat er nicht. Er sei sehr gefragt und systemrelevant. Wir kommen ins Gespräch.

Mit den aktuellen Ausgangsbeschränkungen steht er plötzlich im Rampenlicht, hält mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Schichtdienst die Versorgung der Menschen aufrecht. Es heißt, man sei systemrelevant.

Seit ein paar Wochen hat Sebastian einen Klingelfinger. Die Klingeln seiner Kunden drückt er nur noch mit dem Knöchel des rechten Mittelfingers, Türklinken betätigt er mit dem Ellbogen. Bevor er das Haus betritt, zieht er sich seine Sturmmaske vor Mund und Nase, die er sonst nur an kalten Tagen auf dem Fahrrad trägt. Versucht, die Ansteckungsgefahr mit dem Virus so gering wie möglich zu halten. Doch oft sei das gar nicht so einfach. Er habe kaum Gelegenheit, sich die Hände zu waschen, in engen Treppenhäusern ist zu wenig Platz, um Abstand zu halten.

Er fühlt sich im Stich gelassen. Ständig unter Zeitdruck. Wie auch jetzt. Wir verabschieden uns, bedanke mich für das Gespräch, das mich etwas sprachlos zurücklässt. Liefern am Limit. Dem Virus ständig ausgeliefert. Kaum Aussichten auf bessere Arbeitsbedingungen. Sieht so die neue Normalität aus?

Wir tun alles, um die nächsten Wochen oder Monate geschäftlich zu überleben. Wir können nicht einfach warten, bis alles wieder wird wie zuvor.